Alexander Bertsch

Dämmerungswelten (2010)

Im Frühjahr 2010 erschien bei Hackenberg der Lyrik- und Kurzprosaband
„Dämmerungswelten“


Am Abend
verblasst
das Rot
der Ebereschen
das Gelb
der Kürbisblüten
vergilbt
im Sonnenfall
Azur
entblaut
am Lichterhimmel
wie Nachtgestammel
der Traum
entträumt
von Tagesspuren
wolfgeboren

 

Die Abenddämmerung geht allmählich in die Nacht über. Die Farben – vor allem Blau in verschiedenen Tönungen – verblassen und werden zu Grau bis hin zu Schwarz. Die Erinnerung mischt sich in die Gegenwart hinein; oft ist sie farbiger, präsenter als diese: Gedichte und Kurzprosa aus den letzten zwanzig Jahren.
Kontrastierende Tonlagen und Ausdruckswelten sind in dieser Sammlung vertreten; die Texte entstammen verschiedenen Entstehungszeiten und Stimmungslagen. Wenn man die Elemente des Titels „Dämmerungswelten“ zu „Weltendämmerungen“ umkehrt, so ist das lyrische Ich mit der Dämmerung der Welt konfrontiert, einer Aufgabe, die globaler nicht sein könnte.


Alexander Bertsch
„Dämmerungswelten“, € 12,--
Hackenberg Verlag, Antiquariat, Medienservice
Stephanstraße 15, 71638 Ludwigsburg
ISBN 978-3-937280-24-0


Textproben

Ich träume
von einem unzerdachten Land
von einer ungedeuteten Welt
die nicht in Abermillionen Köpfen verschwindet
um vorgefertigt vorgekaut und nachgebildet
wieder aufzutauchen

ich träume
von einem Gott der Bäume und der Tiere
der dunklen Tage und der hellen Nächte
der Jahreszeiten
der Berge und der Flüsse
und nicht zuletzt
von einer Göttin aller Meere

dieser Traum
ist ortlos zeitlos
an kein Haus gebunden
er träumt sich
über Horizonte
weite Firmamente
über Länder
in denen Menschen wohnen

nichts als ein Traum –
er gehört nur mir


Dein Sommerhaar fällt aus,
die trägen Tage weichen frühen Nächten.
Bald werden graue Streifen dieses Land bedecken,
und tiefe Risse ziehen durch die Bodenhaut.

Dein Blick wird müder,
die Lider drücken schwer nach unten,

schon zieht die Kälte um die ausgesetzten Schläfen,
du schüttelst deine Haare in den Wind;

aus Grau wird Weiß,
die dunklen Stunden nehmen überhand,
jetzt summst du manchmal unsre alten Lieder,
erinnerst dich an grünes Land – an nichts als lichtes Grün.


Es dunkelt jetzt früher. So mancher hat noch seine Sommerwiesen im Kopf,
seine heißen Gefährtinnen neben den windzerzausten Ährenfeldern, den
schweren Duft von trockenen Pflanzen, vermischt mit Spuren von Traktoren-
öl auf den Äckern und Abgasen der Fahrzeuge auf den ein wenig weiter ent-
fernten mehrspurigen Trassen.
In den Nächten liegt man auf dem Rücken, hört Geräusche wie Wind in den
Baumwipfeln, irgendein Rauschen und Knistern, Lärm von Motoren, gleich-
förmig ferner und näher, das Rascheln größerer Tiere in genmanipulierten
Maisfeldern. Der Fluss schiebt seine dunklen Fluten durch sein schlammiges
Bett, ab und zu scheint etwas Lebendiges aus dem Wasser zu springen und
wieder zurückzufallen. Schwarze Pappeln schwanken am gegenüberliegenden
Ufer. Der Blick geht hinauf zum Sternenhimmel. Wünsche werden nach
oben gedacht, bedingt durch das Eintreten kleinerer Meteoriten in die
Erdatmosphäre.
So manche Seele fliegt nun durch die nur bedingt stillen Lande. Ankunfts-
gedanken brechen sich inmitten der Unbehaustheit Bahn: aus der Natur
gefallen und dann wieder nicht von ihr lassen können. Doch situationsbedingt
immer noch fast zwanghaft auf der Suche nach Poesie.

Die Krone der Schöpfung

Keine Angst

bevor sie sich selbst ausrotten
werden sie noch zahlreiche Arten mitnehmen
aber sicher nicht alle
ein paar werden weiterleben
vielleicht die Ameisen
auf jeden Fall Insekten

werden sie sich für die Upanishaden
interessieren
für Platon oder Wittgenstein?
Oder für die sogenannten
heiligen Bücher der Welt?

Insekten summen
reiben mit den Flügeln
rascheln im Laub
haben zahlreiche Fertigkeiten
verständigen sich mit vielerlei Signalen
aber sie können nicht lesen

tant pis!


Pressestimmen

Wie Leben, das verweht

„Ich träume / von einem unzerdachten Land“ – und dies scheint der Lyriker Alexander Bertsch wahrlich auch gefunden zu haben. Zwischen impressionistischer Zartheit und sprachgewaltiger Opulenz umspannt er in seinem neuen Gedichtband „Dämmerungswelten“ ein reiches Panoptikum des Lebens mit all seinen Krisen, Vergänglichkeiten und erhabenen Träumereien …

…Alexander Bertsch erzeugt nicht nur Stimmung, sondern zitiert nicht selten ganze Traditionslinien der Geistesgeschichte. Ja, ein unerschöpflicher Kosmos steckt hinter seiner liebevollen Poesie. Schillernd, geheimnisvoll ist sie, und von Leichtigkeit getragen, eben „wie Leben / das verweht“ verzaubern seine Gedichte bis zuletzt.
(Stuttgarter Zeitung, 4.6.2010)


Der böse Blick des Turmhahns

… Texte, die in den letzten Jahrzehnten und in der Gegenwart entstanden sind – in verschiedenen Gemütslagen und Ausdrucksarten. Viele der Texte haben eine melancholische Grundstimmung, aus einigen spricht die pure Lust am Spiel mit der Sprache, andere gefallen als präzis beobachtete Stimmungsbilder. Es ist die Variationsbreite der Textsorten, die das Buch so spannend macht.

…“Dein Sommerhaar fällt aus“ ist eine Reflexion über das Älterwerden, „Vielleicht hätte ich“ eine philosophische Betrachtung über den Zufall menschlicher Begegnungen. In „Mainstream“ oder „Migration 2000“ meldet sich der politisch denkende Bertsch zu Wort, der auch für die Enge der Provinz („Heimat“, „Kleinkariert“) eindringliche Bilder findet: „Schon lange / der böse Blick / des Turmhahns“.
(Heilbronner Stimme, 23.6.2010)