Alexander Bertsch

Philemons Aufzeichnungen (2006)

Welche Überraschungen hält das Leben noch bereit, welche Rolle wird der Erinnerung zugewiesen und wie wird mit der Abwesenheit von Glück umgegangen? Wie lebt man mit der vergeblichen Suche nach sich selbst?

Alexander Bertsch legt nach mehreren Romanen eine Reihe von Erzählungen vor, die sich behutsam an Befindlichkeiten unserer Gesellschaft herantasten.

Da ist ein älteres Ehepaar, Philemon und Bea, das von seinem Ort verjagt werden soll, weil es den Interessen der Erlebnisgesellschaft im Wege ist. Zwei Menschen, die fast ihr ganzes Leben dem Lesen und Sammeln von Büchern und ihrem Garten gewidmet haben. Eine Erzählung, die Motive des Philemon-und-Baucis-Mythos mit einbezieht.

Wir erleben auch die groteske Wanderung eines Mannes durch eine gleichgültige und seelenlose Welt. Wir begegnen einem modernen Robinson, der auf der Suche nach seiner eigenen Identität ist.

Da ist die Geschichte einer alten Frau, die sich irgendwo in einem riesigen Wohnturm in ihrem kleinen Appartement an ihrem Geburtstag ein paar kleine Erinnerungen gönnt.

Und dann die achtjährige Nina, die sich hingebungsvoll um ihren schwer kranken Großvater kümmert, der das Mädchen noch einmal zu einer Reise in das Reich der Musik einlädt, aber auch einfühlsame Gespräche über Leben und Tod mit ihm führt.

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Textproben

Vielleicht bleibt mir nicht mehr viel Zeit. Aber es ist mir ein Bedürfnis, dass ich alles noch schriftlich festhalte, wie man so sagt damit unsere Geschichte nicht völlig in Vergessenheit gerät.

Wir haben unser ganzes Leben lang Bücher gesammelt. Da wir ein älteres, nicht besonders geräumiges Häuschen bewohnen, ist die Unterbringung all der Bücher allmählich schwierig geworden. Mit der Zeit habe ich zuerst teilweise das Untergeschoss und schließlich vor allem das Kellergeschoss als Bibliothek ausgebaut. Als auch dieser Platz nicht mehr ausreichte, trieb ich unterirdische Stollen voran, stützte sie mit allem ab, was ich an geeignetem Material finden konnte: mit alten Bahnschwellen, Eisenstangen und dergleichen

Und während ich dies zu Papier bringe, sehe ich plötzlich ein Bild von mir: Einen Weg, der zwischen Olivenbäumen einen Hügel hinabführt. Und am Ende dieses Weges - Das Meer.


Pressestimmen

Da ist die Geschichte von Philemon und Bea (‚Philemons Aufzeichnungen’). Die Liebe zu den Büchern führt sie zusammen, das gemeinsame Leben schweißt sie zusammen und sie werden miteinander alt.

Er schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, sie ist Bibliothekarin. Sie ziehen in ein Haus abseits der anderen und leben in ihrer Nische, die irgendwann, als sie alt sind, durch Straßenbauarbeiten zerstört wird. Alexander Bertsch schafft es, Gefühle und Sympathie zu wecken, ohne doch sentimental zu werden.

Genauso ist es mit der Geschichte „Ein Stern für Nina“, in dem sich die achtjährige Nina um  ihren sterbenskranken Großvater kümmert. Der alte Mann und das Kind finden zueinander, als sie sich über Musik unterhalten und Musik hören. Die Dialoge haben Tiefgang, sind weise und dennoch kindlich-unschuldig. Das Thema Tod wird eingekreist, ist gegenwärtig und bewusst, ohne bis kurz vor Schluss direkt angesprochen zu werden. Alexander Bertsch beherrscht die Kunst der unaufdringlichen Andeutung.
(Uwe Czier in Ludwigsburger Kreiszeitung)


… Phil und seine Bea sind Büchermenschen. Lesemenschen durch und durch. Seit er denken könne, sagt Phil, der eigentlich Philemon heißt, sei er von Büchern umgeben, und er meint solche, in denen Romane, Erzählungen, Gedichte stecken. Und jeden Abend liest er, der das Bücherlesen als Lebenszweck, als Lebenssinn versteht, seiner Bea etwas vor, im Wohnzimmer des Häuschens am Stadtrand, in dem sie ihr bescheidenes Dasein führen.

Und so kommen sie ins hohe Alter eines Lebens, das sich als einziges Leseabenteuer begreift. Und als die Räume und Flure des Häuschens die vielen Bücher, die die beiden angesammelt haben, nicht mehr fassen können, gräbt Philemon Stollen und Gänge unter dem Haus, in denen er seine papiernen Schätze einlagert. Dass zwei nicht ein Leben lang in Ruhe lesen und nichts als lesen können, wenn es dem lieben Nachbarn nicht gefällt, wird man ahnen. Und so geht diese Philemon-und-Baucis-Geschichte aus der Bücherwelt nicht gut aus, an ihrem Ende stehen Tod, einbrechende Bücherstollen und ein brennendes Haus.

In Bertschs Erzählungsband „Philemons Aufzeichnungen“ geht aber nicht ausschließlich um Bücher, diese seltsamen und wunderbaren geistigen Hausgenossen und Lebenspartner. Da wird zum Beispiel in einer parabelhaften Geschichte, in der ein Mann, beladen mit allerhand Wohlstandsmüll, einem Sarg entsteigt, deutlich Zivilisationskritik laut. In einer anderen der unprätentiös dargebotenen Erzählungen ruft eine einsame alte Frau an ihrem Geburtstag wehmütig und doch abgeklärt Lebenserinnerungen auf. Und in „Ein Stern für Nina“ pflegt ein kleines Mädchen seinen schwer kranken Großvater, was beiden Gelegenheit gibt, sowohl altersweise als auch anrührend kindlich naiv über Leben, Tod und die Schönheiten der Musik zu plaudern, ganz leichthin, aber doch mit großem Ernst.
(Rainer Wochele, Stuttgarter Zeitung, 17.1.07)