Alexander Bertsch

Wie Asche im Wind (1993)

Der Roman erzählt von den Begegnungen der Lena Sternberg in ihrer Geburtsstadt H. (=Heilbronn), in die sie nach fast fünfzig Jahren für einige Wochen zurückkehrt. Lena musste Deutschland 1936 verlassen, weil ihr Vater Jude war. Nun, am Ende ihres Lebens, möchte sie die Stadt ihrer Kindheit noch einmal sehen, möchte auch herausfinden, wie das ‚neue Deutschland’ wirklich aussieht.

Die Landschaft ihrer Kinderjahre und das Gespräch mit ihrer früheren Freundin und entfernten Verwandten Inge führen Lena in eine schmerzliche Reise durch ihre Vergangenheit. Sie erlebt wieder, wie Bedrohung und Verfolgung sich verdichten, bis sie mit ihren Eltern H. verlassen muss und nach Amsterdam kommt. Dort lernt Lena Manuel Sternberg kennen, den sie 1940, kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen, heiratet. Ein Jahr später wird ihr Mann von den Nazis deportiert – Lena hört nie mehr von ihm. Sie schließt sich der Widerstandsbewegung an, riskiert mehrmals ihr Leben, erlebt die Befreiung.

Wesentlich für ihren Besuch in H. wird die Begegnung mit Johannes, Inges Sohn, der Vertreter einer neuen, kritischen Generation ist. Auch Lena ‚lernt’ aus diesen Gesprächen: Sie geben ihr eine verhaltene Hoffnung, als sie aus H. wieder in ihre französische Wahlheimat zurückfährt.

(Bleicher Verlag 1993;
Restauflage,heute erhältlich bei
Andreas Hackenberg Verlag,
Antiquariat, Medienservice;
Stephanstr.15, 71638 Ludwigsburg; 9.80 €)


Textproben

„… Komm, meine kleine Lena“, sagte Mutter.

Sie pflückte an solchen Sommertagen überall bunte Blumen und lächelte Wolken, Erde und Himmel zugleich an. Und ich war einbezogen, denn ich wusste ohnehin, dass das Lächeln mir galt, dass mich die Erde mochte und der Himmel und dass mir die Wolken Kusshändchen zuwarfen, bevor sie weiterflogen.

Ja, dieses Lächeln hatte etwas gemeinsam mit bunten Sommerwiesen, gelben Rapsfeldern und reifen Ähren. Im Sommer war die Welt für Kinder gemacht. Und die Spaziergänge mit Mutter waren Sonnentage. Sogar wenn es regnete …

… Wo sind sie alle? Die Menschen, die für unser Leben so wichtig waren? Der Wind hat ihre Asche über die Länder getragen. Sie belasten den Boden mit einer Leichtigkeit, als hätte sich die Schwere ihres Schicksals verflüchtigt.

Und doch können sie ein Menschenleben erdrücken, wenn sie sich unmittelbar in eine Erinnerung eingegraben haben …

Die Erinnerung höhlt uns beinahe aus. Nicht nur an Novembertagen, sondern auch auf einer lichtdurchfluteten Frühlingswiese. Sie sind nicht mehr bei uns. Vielleicht hätten sie zu einer anderen Zeit, in einem anderen Land, unter anderen Bedingungen das Leben ebenso lieben können wie Sisyphos vor oder selbst nach seiner Verurteilung durch die Götter.

So aber sind sie nur noch in uns.

Auf der Welt wurden sie irgendwohin verweht.

An irgendeinen Ort.

Wie Asche im Wind.


Pressestimmen

In Bertschs Aufarbeitung ist ein Buch entstanden, das zum Nachdenken reizt und
informiert – und in der Schilderung der Erinnerung fast lyrische Züge annimmt.
Stuttgarter Zeitung


Es gelingt Alexander Bertsch mit seiner lyrisch verknappten, unsentimental nüchternen
Sprache des inneren Monologs, viele Aspekte der gegenwärtigen Stimmungslage in
Deutschland unpathetisch anzusprechen und in die Handlung zu integrieren.
Ludwigsburger Kreiszeitung


Durch Johannes muss Lena festgefahrene Meinungen revidieren. Er macht ihr deutlich,
dass den Deutschen die Übernahme von Verantwortung auch ermöglicht werden muss –
ohne gleich Hundertprozentiges zu verlangen. Johannes’ Generation gibt Lena eine
leise Hoffnung.
Heilbronner Stimme


„Wie Asche im Wind“ ist ein sehr leiser, sehr guter Roman, der deutsch-jüdisches
Schicksal zur Nazizeit zum Gegenstand hat und die politische Situation Deutschlands Mitte der 80er Jahre im Kontext  zu jener unseligen Vergangenheit sieht.
ekz-Informationsdienst